Einsatz modellbasierten Systems Engineering zur Entwicklung eines umfassenden digitalen Zwillings von ADAS-Funktionen

MBSE-Lösungsansatz

Der weltweite Markt für autonome Fahrzeuge (AV) wächst schnell. Statista schätzt, dass der Markt bis 2025 fast 400 Milliarden Dollar wert sein wird. FIH Mobile, eine Tochtergesellschaft der Hon Hai Technology Group (Foxconn), ist in den letzten Jahrzehnten vor allem für seine vertikal integrierten, durchgängigen Design-, Entwicklungs- und Fertigungsdienstleistungen für Mobiltelefone, mobile und drahtlose Kommunikationsgeräte und Unterhaltungselektronikprodukte bekannt geworden. Angesichts der steigenden Nachfrage nach neuen Technologien hat die FIH Mobile ihr Fachwissen auf die Märkte für fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme (ADAS) und AV ausgeweitet.

Im Jahr 2021 ist FIH Mobile in Partnerschaft mit Stellantis, einem weltweit führenden Automobilhersteller und Mobilitätsanbieter, in die Entwicklung eines Joint Venture mit Mobile Drive Technology Co., Ltd (MobileDrive) eingestiegen.
MobileDrive entwickelt Infotainment, Telematik und eine Cloud-Service-Plattform mit zugehöriger Hard- und Software. Mit dem Ziel, schnell qualitativ hochwertige Software zu liefern, um die Marktanforderungen zu erfüllen, entschied sich MobileDrive für Simcenter™ Engineering and Consulting Services, um einen modellbasierten Systementwicklungsansatz (MBSE) zur Unterstützung seiner ADAS-Ambitionen zu entwickeln.

MobileDrive erkannte, dass Simcenter Engineering ihnen helfen konnte, einen robusten digitalen roten Faden zu nutzen, der es ihnen ermöglichen würde, Daten zu erfassen, um Systeme in allen wichtigen Bereichen zu optimieren.

Ein strategischer ADAS-Partner

Die Entwicklung von ADAS erfordert umfassende Kenntnisse und Erfahrungen in den Bereichen Anwendungen und funktionale Sicherheit. Simcenter Engineering verfügt über eine ausgewiesene Expertise in diesen Bereichen und war
daher eine hervorragende Wahl für MobileDrive.

Das Hauptinteresse von MobileDrive bestand darin, zu lernen, wie man ein modellbasiertes Rahmenwerk zur Entwicklung von Algorithmen und Softwaresteuerungen für gängige ADAS-Anwendungen wie Spurhalteassistent (LKA), Spurhalte- und Notlenkassistent (ESA) verwendet. Das Unternehmen wählte Simcenter Engineering als Technologiepartner, um diese Fähigkeiten zu entwickeln und seinen Ingenieuren das erforderliche Software-Know-how zu vermitteln.

Zwei Ziele, eine ADAS-Vision

MobileDrive hat sich zum Ziel gesetzt, ein zuverlässiger Partner für chinesische und taiwanesische Originalhersteller (OEMs) bei der Entwicklung ihrer ADAS-Anwendungssoftware zu werden. Das Ziel von MobileDrive ist es, in Zukunft ein führender Anbieter von Automobilelektronik zu sein.

Um MobileDrive bei der Erreichung dieser Ziele zu unterstützen, erstellte Simcenter Engineering eine Roadmap, um das Unternehmen bei der Umstellung auf den MBSE-Ansatz zu unterstützen, beginnend mit den Anforderungen der Zulieferer und OEMs, um diese dann kaskadenförmig bis zu den Softwareanforderungen weiterzuleiten.

Die Teams einigten sich auf die Entwicklung von sechs Funktionen, darunter LKA, Spurhalteassistent (ELK), Spurfolgekontrolle (LFC), automatischer Spurwechsel (ALC), ESA und autonome Notlenkung (AES) als Teil des ersten Quersteuergeräts, um MobileDrive dabei zu helfen, sein ehrgeiziges Ziel der Markteinführung zu erreichen.

„Wir brauchten ein gutes Verständnis der Grundlagen vom Simcenter-Engineering-Team,
einschließlich der Umsetzung der Anforderungen und des Aufbaus der ursprünglichen Architektur“, erklärt Winston Hsu, Chief Technology Officer (CTO) bei MobileDrive. „Wir mussten auch die Best Practices für das Schreiben und Verwalten von Anwendungstestfällen verstehen, um die Softwareentwicklung anzuleiten.“

Simcenter Engineering lieferte eine vollständige Methodik und eine Road Map für die ADAS-Vision von MobileDrive. Dies beinhaltete die Erstellung der funktionalen und technischen Sicherheitsanforderungen, die Durchführung funktionaler Sicherheitstests, die Generierung von Testfällen und die Entwicklung und Prüfung des Systems auf der Grundlage von Simulationsmodellen mit Simcenter Amesim™-Software, einer führenden Systemsimulationsplattform, und Simcenter Prescan™-Software, dem virtuellen ADAS-Validierungspaket von Siemens Digital Industries Software. Darüber hinaus sorgten sie für eine vollständige Rückverfolgbarkeit der Anforderungen mithilfe des cloudbasierten ALM-Tools (Application Lifecycle Management) von Siemens aus dem Polarion™-Portfolio. Das Simcenter-Engineering-Team führte außerdem einen vollständigen Technologietransfer mit Polarion durch, um sicherzustellen, dass MobileDrive die Technologie intern replizieren kann.

Simcenter Engineering und diese Produkte sind Teil des Siemens Xcelerator-Portfolios, dem umfassenden und integrierten Software-, Hardware- und Service-Portfolio.

Erstellung der Simulationsmodelle

Für dieses Projekt musste das Simcenter-Engineering-Team ein detailliertes Fahrdynamikmodell erstellen, um den Regler für die Querdynamik zu validieren. Um dies zu erreichen, führten die Experten von Simcenter Engineering Marktstudien durch, um die Systemanforderungen auf der Grundlage der Anforderungen an das Gesamtfahrzeug zu definieren.

Simcenter Engineering wandte dieses Wissen und seine umfassende Erfahrung im Bereich ADAS an, um die gesamte Fahrzeugdynamik zu modellieren und eine virtuelle Testumgebung für die Verifizierung des Steuergeräts bereitzustellen. Durch die Kopplung von Simcenter Amesim mit Simcenter Prescan war das Team in der Lage, die Umgebung für verschiedene Fahrszenarien zu definieren, einschließlich solcher, die mit funktionaler Sicherheit zu tun haben. Die virtuelle Umgebung ermöglichte es dem System auch, die verschiedenen ADAS-Sensoren wie Kameras und Kurz- und Langstreckenradar für die Sensorfusion als Teil der ADAS-Steuerungsfunktion einzubinden. Der Controller wurde dann in die virtuelle Testumgebung integriert, in der verschiedene Funktionen in einem Closed-Loop-Rahmen zwischen den verschiedenen Softwareplattformen getestet wurden.

Dieser Rahmen gab den Teams die Möglichkeit, das Produkt als einen umfassenden digitalen Zwilling zu betrachten. Dies war äußerst wertvoll, da sie mit den Informationen sowohl System- als auch Softwareleistungsprobleme schnell aufdecken und frühzeitig im Entwicklungszyklus angehen konnten.

Anforderungen an die Nachverfolgung

Der Einsatz von Polarion spielte bei diesem Projekt eine Schlüsselrolle. Das Simcenter Engineering-Team konnte damit alle Anforderungsebenen aus vielen verschiedenen Quellen speichern, z. B. Anwendungsfälle, Kundenanforderungen, OEM-Anforderungen, System-, Software-, Funktionssicherheits- und Fehlermodusanforderungen. Diese Anforderungen wurden dann kaskadiert und zerlegt, um Spezifikationen für die Software-Architektur und Software-Funktionen zu entwickeln, die mit Simulink für Model-in-the-Loop (MiL) Closed-Loop-Tests implementiert wurden. Simcenter Engineering bediente sich auch der Fähigkeiten von Polarion, um die zahlreichen Verifikationstests zur Überprüfung der Steuerungssoftware zu verwalten und zu erfassen, indem eine vollständige Rückverfolgbarkeit zwischen Anforderungen, Testfällen und technischen Sicherheitsanforderungen gewährleistet wurde. Dies unterstützte den Wunsch von MobileDrive, die Vorschriften von Automotive SPICE (ASPICE) und der International Organization for Standardization (ISO) 26262 einzuhalten.

Simcenter Engineering nutzte Polarion, um Testfälle für alle Anforderungen zu erstellen, die Rückverfolgbarkeit zwischen den Testfällen und den Anforderungen aufzuzeigen und sie in einer Closed-Loop-Simulation unter Verwendung des Simulink-Controllers mit Simcenter-basierten Fahrzeug- und Verkehrsmodellen auszuführen. Diese Ergebnisse wurden dann automatisch in Polarion zurückgeführt, um sowohl den MobileDrive- als auch den Simcenter-Engineering-Teams ein Dashboard zur Verfügung zu stellen, das Echtzeit-Metriken zu den Pass/Fail-Kriterien und Key Performance Indicator (KPI)-Parametern lieferte. Auf diese Weise konnten das Projektmanagementteam und andere Personen aktiv und in Echtzeit beurteilen, wie viele Anforderungen ihre Verifizierungstests bestanden oder nicht bestanden haben.

Anschließend stellte das Simcenter-Engineering-Team sicher, dass die Kommunikation zwischen Siemens und MobileDrive synchronisiert werden konnte, indem der Polarion-Server in der Cloud gehostet wurde. Dies vereinfachte die Kommunikation zwischen den Teams und gab ihnen die Möglichkeit, an zentraler Stelle Fragen zu stellen, Daten auszutauschen und Dashboards anzuzeigen.

Die Cloud-Lösung ermöglichte es beiden Teams, die Anforderungen einzeln oder gemeinsam per Remote-Verbindung zu überprüfen, zu kommentieren und zu genehmigen.

Nach Abschluss der Simulationsphase testete MobileDrive die Ergebnisse in seinem elektronischen Steuergerät (ECU). „Wir haben mit Freude festgestellt, dass der MBSE-Ansatz von Simcenter Engineering äußerst erfolgreich war“, erklärt Burt Chen, Projektleiter bei MobileDrive. „Die Funktionalität wurde wie versprochen bereitgestellt, sodass wir mit gutem Gewissen eine hochwertige Software an unseren OEM liefern konnten.“

Mehr als nur ein Entwickler

Am Ende des Projekts hat Simcenter Engineering für die Implementierung und einen Technologietransfer an MobileDrive gesorgt. Dies geschah in Schulungen, in denen das Simcenter-Team mehrere praktische Workshops durchführte, um das MobileDrive-Team bei der Anwendung des MBSE-Frameworks zu unterstützen. Das Team transferierte außerdem alle Polarion-Projekte, um sicherzustellen, dass
MobileDrive einen vollständigen Überblick über die Anforderungen hat und diese für künftige Entwicklungen einfach replizieren kann.

Die oberste Priorität des Simcenter Engineering-Teams bei diesen Technologietransfer-Sessions bestand darin, MobileDrive die Best Practices der Branche zu demonstrieren und zu zeigen, wie Probleme mit Hilfe eines virtuellen Test-Frameworks effizient gelöst werden können und wie die Software in ihre eigenen Entwicklungs- und Produktionsumgebungen konvertiert werden kann. Alle Modelle, Dashboards und Techniken wurden so konzipiert, dass sie direkt in der Produktion von MobileDrive eingesetzt, leicht aktualisiert und je nach Kundenwunsch sogar erweitert werden können.

Mit MBSE und dem digitalen Zwilling

„Simcenter Engineering hat uns die Best Practices der Branche für die Entwicklung und den Einsatz von MBSE im gesamten V-Diagramm vermittelt“, sagt Chen. „Wir wissen jetzt genau, wie wir unsere Algorithmus- und Verifikationsaktivitäten für die Produktentwicklung beschleunigen können. „Der Einsatz von Polarion hat uns auch gezeigt, wie wir konformer und strukturierter vorgehen können, um die Normen für funktionale Sicherheit wie ISO26262 zu erfüllen.“

Insgesamt verbrachten die Entwicklungsteams von MobileDrive und Simcenter 1,5 Jahre mit der Entwicklung der Funktionen, der Schulung und dem Austausch von Technologien.

Durch den Einsatz von Polarion war MobileDrive in der Lage, die Anforderungen an die Steuerungssoftware direkt zu ändern, ohne einen Zulieferer einschalten zu müssen. Mit Polarion hat
MobileDrive ständigen Zugriff auf seine eigenen Anforderungen, die es ausbauen, verändern und als Asset nutzen kann, anstatt sie von einem Zulieferer kaufen zu müssen.

Letztendlich verkürzte MobileDrive den Zeitplan für das ADAS-Produkt, bevor überhaupt ein physischer Prototyp gebaut wurde. Dies war zurückzuführen auf die neu gewonnene Fähigkeit, ADAS-Softwarefunktionen frühzeitig in der umfassenden digitalen Zwillingsumgebung mit Simcenter Amesim und Simcenter Prescan zu verifizieren, anstatt Hardware-in-the-Loop (HiL)-Prüfstände oder eine Teststrecke zu nutzen.

„Das Ziel von MobileDrive ist es, der führende Anbieter von ADAS-Steuergeräten zu werden“, sagt Hsu. „Dank unserer Partnerschaft mit Simcenter Engineering gehen wir davon aus, dass wir diese Steuergeräte viel unkomplizierter und effizienter auf den Markt bringen können.“