Mit den Produkten von Siemens Digital Industries Software entwickelt, baut und betreibt die deutsche Hochschule eine intelligente Lernfabrik...
Die Hochschule Darmstadt, University of Applied Sciences (h_da), ist eine der größten Fachhochschulen in Deutschland mit rund 16.500 Studierenden, 320 Professoren und mehr als 70 Studiengängen. Das Spektrum der Ausbildungsprogramme und Forschungskapazitäten der Hochschule reicht von Ingenieurwissenschaften, Mathematik, Informationstechnik und Informatik über Wirtschaft, Sozialwissenschaften und Sozialarbeit bis hin zu Architektur, Medien und Design.
Smart Factories für das Zukunftsprojekt, das als Industrie 4.0 bezeichnet wird, sind voll vernetzte Betriebsstätten für die automatische, massentaugliche Produktion. Die Fertigungsindustrie benötigt Spezialisten, die die komplexe Technologie dahinter beherrschen. Unternehmen benötigen Absolventen von Schulen und Universitäten, die nicht nur interessiert sind, sondern auch mit dem technologischen Umfeld vertraut sind, das ihre spätere berufliche Laufbahn prägen wird.
Ein guter Ort für die Suche nach Ingenieuren, die diese Anforderungen erfüllen, ist Darmstadt. Die Stadt ist die Wiege zahlreicher Produkte und Technologien, die unser tägliches Leben verändert haben, etwa das Uhrenradio, Acrylglas, das erste Waschmittel auf Enzymbasis und die Flüssigkristalle, die in Bildschirmen verwendet werden. Die Stadt ist Sitz einer technischen Hochschule sowie der Hochschule Darmstadt, University of Applied Sciences (h_da), die einen ausgezeichneten Ruf für ihre praxisorientierte technische Ausbildung hat. Ihre Ausbildungsgebiete reichen von Ingenieurwissenschaften, Mathematik, Informationstechnik und Informatik über Wirtschaft, Sozialwissenschaften und Sozialarbeit bis hin zu Architektur, Medien und Design. Einer der internationalen Master-Studiengänge in Elektrotechnik wird ausschließlich in Englisch unterrichtet.
„Unsere Abteilung für Elektrotechnik und Informationstechnik betreibt eine Montageanlage, die die Automatisierungsprozesse in einer realen Fabrik authentisch nachbildet“, so Dr.-Ing. Stephan Simons, Professor für Automatisierungs- und Steuerungstechnik an der h_da. „Diese kleine intelligente Fabrik ist eine Industrie 4.0-Demonstrationsanlage und eine Forschungs- und Lehrplattform, auf deren Basis interdisziplinäre Teams von Studierenden lernen, wie zukünftige Produktionsanlagen, in denen das Internet der Dinge genutzt wird, entworfen, in Betrieb genommen, betrieben und gewartet werden.“ Diese Studierenden sind in verschiedenen Fakultäten eingeschrieben, darunter Elektrotechnik und Maschinenbau sowie Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaft, Optotechnologien und Bildverarbeitung.
Obwohl die vollautomatische Montagelinie für elektromagnetische Relais auf lediglich 50 m2 begrenzt ist, ist sie mit allem ausgestattet, was für eine Produktionsanlage benötigt wird. Zu der Linie gehören ein Hochregallager mit 44 Lagerplätzen sowohl für Komponenten als auch die fertigen Produkte und der Materialtransport, der mit intelligenten Shuttles realisiert ist, die auf einem 20 Meter langen Schienensystem fahren. Ein 6-achsiger Industrieroboter erledigt die eigentliche Montage, bevor die Relais automatisierte optische und elektrische Tests sowie das Wiegen für die Endabnahme durchlaufen.
Die verschiedenen funktionalen Teile der Anlage werden einzeln durch speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) sowie durch Bewegungssteuerungen und eine spezielle Robotersteuerung bedient. Über das OPC UA-Protokoll kommunizieren sie mit dem ERP-System (Enterprise-Resource-Planning) und dem Manufacturing Execution System (MES) der Hochschule, die außerhalb des Standorts in privaten und öffentlichen Clouds laufen.
The smart factory assembles several varieties of electromagnetic relays in one-off quantities as demanded to fulfill orders in a cloud-based ERP system. Both components and finished products are transported through the line using intelligent shuttles equipped with RFID chips. Photo: M. Wittmer
Als Simons mit der Planung der intelligenten Fabrik begann, befasste er sich mit dem Tecnomatix®-Portfolio von Siemens Digital Industries Software. Tecnomatix ist ein umfassendes Portfolio von Lösungen für die digitale Fertigung, die das Digitalisieren der Fertigung unterstützen. Mit den Programmierlösungen für Robotik und Automatisierung von Tecnomatix können Ingenieure Roboter- und Automatisierungsoperationen offline entwerfen, simulieren und programmieren. Integrierte Simulationsfunktionen ermöglichen das Einbinden einer virtuellen SPS oder einer realen SPS aus einer realen Umgebung, um Steuerung, Automatisierung, Materialtransport und den gesamten Ablauf zu testen und zu optimieren.
Der Professor begann sein Projekt für eine intelligente Fabrik mit der Lösung Process Simulate von Tecnomatix, weil er die Fähigkeit dieser Software, zur virtuellen Inbetriebnahme Verbindungen mit realen SPSen herstellen zu können, nutzen wollte. Später hat er die Nutzung des Tecnomatix-Portfolios in der intelligenten Fabrik auf die Plant Simulation-Lösung erweitert, da diese auch das Simulieren von Materialflüssen und Energieverbrauch in 3D abdeckt.
„Ich wusste, dass in Zukunft Simulation und virtuelle Inbetriebnahme der Produktionslinie für die Industrie entscheidend sein werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Simons. „Durch Verwenden von Tecnomatix, um den digitalen Zwilling der Montagelinie zu erstellen, und Ausführen von virtueller Inbetriebnahme hatten wir die Anlage in nur zwei Jahren betriebsbereit, obwohl jeder Studierende nur ein Semester am Projekt mitarbeitet.“
The fully automated assembly line features a high-bay storage rack and material transport using intelligent shuttles as well as a 6-axis industrial robot for assembly and several test stations. The stations are controlled by PLCs also taking care of functional safety that communicate via OPC UA. Image: P. Abé
Der Hauptzweck der intelligenten Montagelinie besteht darin, den Studierenden beizubringen, wie sie die neuesten Technologien problemorientiert einsetzen können. Sie müssen lernen, wie umfassende Systeme erstellt werden, wozu sie sich mit Wissen außerhalb ihres eigenen Spezialisierungsgebiets vertraut machen müssen. Informationstechnologie (IT) und Industrieautomatisierung sind keine getrennten Disziplinen mehr, sondern sehr eng miteinander verbunden. Da eine einzelne Software nicht alle Aspekte einer Produkterstellung bewältigen kann, müssen sie verschiedene spezialisierte Systeme anwenden und kombinieren.
„Unsere besonders herausfordernde Aufgabe ist es, für die Industrie Menschen auszubilden, die bereit sind, praktische Projekte zu starten, mit denen die Zukunft gestaltet wird“, so Simons. „Die Industrie ist immer noch voller Mauern, die die Abteilungen trennen, und sie braucht Menschen, die das Fachwissen und die Motivation haben, diese Mauern einzureißen.“
Der Unterschied zwischen h_da und technischen Universitäten liegt im mehr praktischen Ansatz. Um Kompatibilität mit den realen Anforderungen der Industrie zu gewährleisten, werden in der intelligenten Montagelinie ausschließlich Industrieprodukte verwendet, die auf dem Markt erhältlich sind. „Wir haben uns sowohl bei Automatisierung als auch Digitalisierung für Siemens-Systeme entschieden“, führt Simons aus. „Mehr als bei jedem anderen Anbieter bringen sie Automatisierung und IT erfolgreich zusammen.“
Die Studierenden an der h_da verwenden NX™ für Computer-Aided Design (CAD). Sie exportieren die von ihnen erstellten Modelle nach Tecnomatix und in andere Softwaresysteme über das universelle Datenformat JT™. Seit 2016 verwenden sie den Mechatronics Concept Designer™ in NX. Dieser ermöglicht es ihnen, einen interdisziplinären systemtechnischen Ansatz für den Maschinenentwurf zu verfolgen, wobei sie mit einem Funktionsmodell für mechanische, elektrische und Automatisierungsaspekte des jeweiligen Entwurfs beginnen. Der Mechatronics Concept Designer hat einfach zu nutzende physikbasierte interaktive Simulationsfunktionen, mit denen vor dem Erzeugen eines Produkts überprüft werden kann, ob es funktioniert. Die offenen Schnittstellen der Software zu anderen Werkzeugen können für eine virtuelle Inbetriebnahme in einem anderen Maßstab genutzt werden, als dies mit Tecnomatix möglich ist.
Während Tecnomatix die Simulation komplexer Systeme einschließlich Förderbänder und Roboter ermöglicht, wird der Mechatronics Concept Designer am besten für das Systems Engineering und die Simulation des physikalischen Verhaltens kritischer kinematischer Systeme verwendet. Um Erfahrungen mit dieser Software zu sammeln, wurde sie zunächst dazu verwendet, ein kleineres Förderbandsystem zu entwerfen und zu simulieren.
„Tecnomatix und der Mechatronics Concept Designer ermöglichen es uns außerdem, den Studierenden beizubringen, die richtige Software für eine Aufgabe auszuwählen“, so die Aussage von Simons. „Eine Gruppe von Studierenden, die versucht hat, die Shuttles in der Relaismontagelinie zu simulieren, scheiterte, weil der Hersteller nur vereinfachte 3D-Modelle zur Verfügung stellte, die die physikalischen Eigenschaften der Shuttles nur unzureichend beschrieben haben.“
For physics-based design and simulation, Darmstadt University of Applied Sciences is also using the Mechatronics Concept Designer
Darmstadt University of Applied Sciences students used Tecnomatix Process Simulate to create a digital twin of the smart factory for virtual commissioning
For final inspection, the relays pass automated optical and electrical tests as well as weighing. Photo: M. Wittmer
Im sechsten Semester bilden Studierende mit unterschiedlichen Vertiefungsrichtungen Teams aus zwei bis sechs Personen, um gemeinsam an Automatisierungsthemen zu arbeiten. Bis Mitte 2018 haben 290 Studenten Projekte direkt an der oder im Umfeld der intelligenten Montagelinie in Darmstadt durchgeführt. Diese wird ständig umgestaltet, wodurch sie der industriellen Wirklichkeit so nahe kommt wie möglich.
Fehlerhafte Relais werden zu einer manuellen Nachbearbeitungsstation transportiert, an der die Mitarbeiter, die die Fehler beheben sollen, durch eine 3D-Animation und schrittweise Anweisungen unterstützt werden, die in einer Augmented-Reality-Brille angezeigt werden. Die Studierenden haben die Brille mit einem OPC UA-Client ausgestattet, der die Schnittstelle zum umgebenden System bildet, um Fehler beheben zu können.
Schon vor der Markteinführung des Produkts hat h_da mit MindSphere gearbeitet, dem cloudbasierten, offenen IoT-Betriebssystem von Siemens. Neben der Analyse von Energiedaten wird MindSphere auch für Anwendungen für maschinelles Lernen verwendet, um Anomalien in der laufenden Anlage zu erkennen.
Seit einiger Zeit setzt h_da Teamcenter® für das Product Lifecycle Management ein. Diese Software wird für interne Arbeitsabläufe und Genehmigungsprozesse genutzt. Ihre Nutzung wird zusammen mit der Automation Designer-Software für Elektro- und Automatisierungstechnik, ebenfalls von Siemens Digital Industries Software, ausgeweitet. Die Hochschule wird diese Software in NX bereitstellen, das auf einer offenen, grafischen Integrationsplattform basiert, um eine möglichst vollständige interdisziplinäre Entwicklungsumgebung zu erhalten.
Jedes Mal, wenn jemand – fast ausnahmslos der Professor – vom Siemens-Stand auf einer großen Industriemesse mit Ideen für neue Geschäftsfelder zurückkehrt, stellt sich die Frage, wie die neuen Technologien in die bestehende Anlage integriert werden können. Simons stellt abschließend fest: „Die Fähigkeit, gute Antworten auf diese Art von Fragen zu finden, ist genau das, was die Industrie von Elektroingenieuren verlangt.“
Relays that have failed final inspection are transported to a manual rework station where workers correcting the fault are supported by a 3D animation and step-by-step instructions displayed in augmented reality glasses